Eine weitere Liebeserklärung an Kassel hat sich die Jérôme-Redaktion von mir erbeten. Das ist nett, aber ich gestehe, dass ich mich nach meiner intensiven, in großer Öffentlichkeit vorgetragenen Solidaritätsbekundung bei der Eröffnungsfeierlichkeit zu 1100 Jahre Kassel in der Stadthalle (sorry: im Kongresszentrum) und zuvor in mindestens einem Buch und weiteren Elogen mittlerweile doch etwas ausgeschrieben fühle.
Ich habe eigentlich schon mehr geoutet, als es Liebhaber tun sollten, zumindest wenn sie vornehm zurückhaltend sind. Und einen Rest an Zurückhaltung, Geheimnis möchte ich mir bewahren. Und außerdem ist es ja seit ungefähr 40 Jahren eine Fernbeziehung, die ich zu Kassel pflege, ich kann nicht behaupten, mein Herz würde noch jeden Tag hüpfen, wenn ich nur an die Wasserspeier auf dem Königsplatz denke. Dann hüpft es zum Beispiel gar nicht, spätestens seit es „Da Bruno“ nicht mehr dort gibt. Ich kann auch nicht in Anspruch nehmen, jeden Baum, der nun der Grimm-Welt Platz machen musste (zu Recht!), persönlich gekannt zu haben. Noch bin ich schon einmal auf Kassel-Calden niedergegangen. Nein, ich verweigere mich hier; alles, was mir an Kassel je am Herzen gelegen hat und noch immer liegt, ist auf der Website der Stadt en gros und en detail nachzulesen. Und das ist ja sehr viel, von Salzmann einst bis zum Schloss-Café heute, ganz besonders inklusive seiner Betreiber. Von der Herderschule, damals noch in nacktem Umfeld, über die Drahtbrücke und die Hessenkampfbahn bis hinauf zu jenem Kuss-Tempelchen hinter der Neuen Galerie. Von der Murhard’schen Bibliothek bis zum Bebelplatz. Von Orten, die es nur noch in meiner Erinnerung gibt. Von Orten, an denen sich meine Eltern fanden.
Also sage ich Ihnen nur, wo ich heute am liebsten bin, wenn ich nach Kassel komme: immer im Schloss-Café. Und immer bei „Ilyssia“, möglichst draußen, mit Blick auf dieses wunderbare Ensemble aus Bächlein, Fachwerk, Gärten, versteckter Öko-Modernität zwei Minuten vom Bahnhof Wilhelmshöhe entfernt.
Aber natürlich komme ich nach Kassel nicht nur zum Essen und Trinken. Andere schöne Orte also: das Foyer des Schauspielhauses, wenn Thomas Bockelmann dort die Welt erklärt. Der Friedrichsplatz, falls da mal Rasen wächst. Die Brüderkirche und ihr Drumherum. Die wirklich schöne Schöne Aussicht. Das kluge Museum für Sepulkralkultur. Das Gießhaus auf dem Universitätsgelände. Die wildromantische Gleissituation hinter dem Technikmuseum. Dann einige Straßen: in Wilhelmshöhe wie in Bettenhausen. Und natürlich: die alten Meister im Schloss Wilhelmshöhe.
Ist das originell? Vermutlich kein bisschen. Und dafür entschuldige ich mich. Und von den Eltern, den Freunden erzähle ich hier nichts. Nur soviel: Sind es nicht immer vor allem die Menschen, die aus einer Stadtkulisse einen Erfahrungsraum machen? Sind es nicht immer vor allem die Menschen, nicht die noch so schönen Steine und Portale, deretwegen man sogar so etwas wie den Meter-Sprungturm im Auebad in der Seele behält, so etwas Banales wie einen Kiosk an der Leipziger Straße, so etwas Mächtiges wie die Säule des Herkules, so etwas Vergangenes wie die Klingelleine der Straßenbahn, so etwas Aufregendes wie den Geruch des alten Hauptbahnhofs? Ich denke, so ist es.
Peter-Matthias Gaede
Chefredakteur von GEO