Dass Kassel einmal zum Mittelpunkt meines Lebens werden würde, konnte ich, als ich 1960 zum zweiten Mal hier ankam, nicht ahnen. Meine erste Berührung mit der Stadt hatte ich 1945, als ich auf einem überfüllten Bahnwagon am völlig zerstörten Hauptbahnhof eintraf.
In Erinnerung sind die vielen Trümmer der Stadt um den Bahnhof herum geblieben und der Bunker direkt am Bahnhof. Meine Mutter mit uns drei Kindern, sieben, vier und ein halbes Jahr alt. Ich war der älteste und war froh, etwas zu essen zu bekommen und eine Übernachtung.
Am nächsten Tag fuhren wir weiter nach Korbach, hier lebte mein Großvater.
Meine nächste Begegnung mit Kassel war dann etwas intensiver. Ich trat eine Stelle als Geschäftsführer in einem größeren Handwerksbetrieb an. Auch das war so nicht geplant. Nach einem Studium an einer Höheren Fachschule in Stuttgart wollte ich Berufsschullehrer werden.
Die damaligen geburtenschwachen Jahrgänge wirkten sich auf die Stellenangebote aus. Als ich endlich ein Angebot im Ruhrgebiet bekam, hatte ich mich selbständig gemacht. 23 Jahre führte ich einen Mittleren Betrieb in Kassel. Über diesen Weg lernte ich Kassel genauer kennen und wollte wissen, was mich sonst noch mit dieser Stadt verband.
Mütterlicherseits eine Familiengeschichte über einige hundert Jahre. Der Urgroßvater war „Königlich preußischer Lokomotivführer“, die Familie wohnte am Königstor. Das Haus gibt es noch heute.
Auch mir persönlich ist Kassel Heimat geworden. Meine Stadt, meine Region Nordhessen.
In Kassel bin ich erstmals politisch aktiv geworden. Als Stadtverordneter von 1972 bis 1973. Dann Landtag. Als Abgeordneter habe ich die Standortentscheidung für den heutigen Campus der Universität mit herbeigeführt. Als Minister habe ich den ICE Bahnhof Wilhelmshöhe gegen viele Widerstände mit realisiert. Die Wiedervereinigung habe ich insbesondere im Grenzbereich mit vielen Verkehrsmaßnahmen aktiv mitgestaltet.
Ich habe also an vielem mitgewirkt, was meine Heimatstadt und die Region Nordhessen zu dem gemacht hat, was sie heute ist.
Das verbindet mich mit Stadt und Region. Insbesondere aber auch die vielfältige Kulturlandschaft.
Und die wunderschöne natürliche Umgebung, in der ich leben darf.
1995 habe ich mich entschieden, keine beruflichen Aufgaben mehr zu übernehmen und mich ehrenamtlich der Wirtschaftsförderung für die Region Kassel zu widmen. Das entsprach auch dem Wunsch meiner Frau und meiner Tochter.
Mein Leben ist also nachhaltig durch die Stadt und die Region Kassel beeinflusst worden, nachdem ich zurückgekehrt bin, in eine mehrere hundert Jahre alte Vergangenheit meiner Familie. Ich habe fortgesetzt, was meine Vorfahren begonnen haben. In der Stadt zu leben und an ihrer Zukunft mitzubauen. Das 1100-Jahre-Jubiläum Kassels ist also in besonderer Weise und Verbundenheit mein Jubiläum und Verpflichtung zugleich.
Alfred Schmidt
Staatsminister a.D., Sonderbeauftragter der Stadt Kassel für Wirtschaftsförderung und Beiratsvorsitzender der WFG