Kunst im Fridericianum: »nature after nature«
Manchmal kann Kunst so einfach sein – vor allem, wenn ich mich, wie neulich, mit wirklich abgehärteten Kunstenthusiasten wie meiner alten Freundin Samantha ins Kasseler Ausstellungsgeschehen stürze. Wo unbedarftere Gemüter möglicherweise nichts Tiefschürfenderes als »ahles rostiges Gestänge« in mit Wasser gefüllten Kunststoffkissen erblickt hätten – um sich darob gerade noch zurückzuhalten, die Widerstandskraft der nach dieser Lesart dazu förmlich herausfordernden Objekte vermittels einer jovial austarierten Sprungübung sozusagen ganz existentiell auf die Probe zu stellen – sahen wir, ideell im Gleichschritt mit dem der Gegenwartskunst zumindest wonnig gesonnenen Durchschnittsbürger, selbstverständlich sofort, dass wir es hier mit in Auflösung und Verwandlung begriffener Materie zu tun hatten, die sich einem definitorischen Zugriff widersetzt und durch ihre physische Präsens im Raum den Körper des Betrachters herausfordert, wie es im geradezu kongenial von Leonie Radine, Anna Seiler, Anke Schleper und Anna Weinreich formulierten Begleittext zur noch bis zum 27. Juli im Fridericianum platzierten und von Susanne Pfeffer mutig kuratierten Ausstellung »nature after nature« heißt.
Kontingenz und Inkontinenz
„Dschieses Kreist!“, entfuhr es meiner Begleiterin anerkennend. „Hat diese Olga damit doch einfach die Zeit eingefroren. So steht es zumindest hier.“ „Wie meinen? Olga?“, entgegnete ich fragend. „Ja doch: Olga Balama, die Schöpferin dieser Wasserdinger“, belehrte mich Samantha. „Kommt aus der Ukraine. Und hat echt was drauf. Denn sie überträgt damit das Verhältnis von Regelhaftigkeit und Kontingenz auch auf die Ebene der Bedeutungsproduktion.“ Das hatte ich mir ja gleich gedacht. „Ukraine? Da, wo auch Tschernobyl liegt?“ Samantha sah mich, instinktiv den Gleichklang unserer hermeneutischen Prokrastination spürend, herausfordernd an: „Du meinst …?“ „Nein, nein, vergiss es …“, sagte ich nonchalant und erfreute mich schon im nächsten Moment völlig entspannt an der wiederverwendbaren Menstruationsbinde, die Juliette Bonneviot geschickt und ganz dezent in eines ihrer sieben jeweils Minimal Jeune Fille betitelten Werke eingearbeitet hatte. „Diese Pariserinnen …“, konnte ich nur noch hauchen, bevor ich völlig in Beschlag genommen wurde von einem großen Ölfleck, mit dem uns die Holländerin Marlie Mul, wie kaum anders zu erwarten, noch einmal überdeutlich die Bedeutung von Öl als fossilem Energieträger vor Augen führen wollte. Zugleich aber bleibt er – der Ölfleck – als etwas Widerständiges bestehen. Leise begann Samantha zu summen: „Weeehrt Euch, leistet Widerstand …“, und ich ergriff ihre Hand und elegisch tanzten wir einen endlos anmutenden Walzer, der nur deshalb kurzzeitig für Irritation sorgte, weil er nicht im Begleitheft stand.