Ein Interview mit der Schriftstellerin und Kleist-Preisträgerin Monika Maron: Für den 6. Mai war im Kasseler BaLi-Kino eine Lesung mit der Schriftstellerin und Kleist-Preisträgerin Monika Maron vorgesehen, die jedoch kurzfristig ausfiel. JÉRÔME hat daraufhin direkt Kontakt mit der Autorin aufgenommen, denn ihr aktuelles Werk »Munin oder Chaos im Kopf« hat selbst hier schon Zensurmaßnahmen ausgelöst.
Wenn Weltbilder ins Wanken geraten
Als Monika Maron 1981 ihren Roman »Flugasche« veröffentlichen will, wird dies von staatlichen Stellen per Zensur verhindert. Trotz vorhandener Sympathien für die ostdeutsche Spielart des Sozialismus behält es sich die Autorin nämlich vor, bevorzugt ihrem eigenen Kopf, ihren eigenen politischen Positionen zu folgen – die den offiziellen oft diametral entgegenstehen. Die erste kritische Reflektion zur Umweltpolitik der DDR erscheint daher auch nicht im »ersten deutschen Arbeiter- und Bauernstaat«, sondern in Westdeutschland, beim Frankfurter S. Fischer Verlag. Dieser bringt im Februar 2018 ebenfalls »Munin oder Chaos im Kopf« heraus, Marons hintersinnige Auseinandersetzung mit der aktuellen, durchaus angespannten Gemütsverfassung der Gesellschaft, der allgemein zu spürenden Verunsicherung und Gereiztheit, unter anderem zurückgeführt auf die Folgen der Merkel’schen Flüchtlingspolitik, das Wiedererstarken dogmatischer Ideologien sowie religiös motivierte Gewalt und Terror. Monika Maron spiegelt dies, eingebettet in die symptomatisch-skurrilen Ereignisse in einer Straße Berlins, in historischen Bezügen zum Vorfeld des 30-jährigen Krieges, gelegentlich bissig kommentiert von einem nächtlichen Besucher ihrer Ich-Erzählerin: der scheinbar weisen Nebelkrähe Munin.
Weitaus weniger als weise zu bezeichnen ist hingegen ein Kasseler Buchhändler, dessen Weltbild offenbar durch die kritische Intention dieses Romans empfindlich ins Wanken geriet. Daher lehnt er – ganz in gesinnungsbademeisterlicher Manier – sowohl die Bestellung wie auch den Verkauf des Werkes in seinem im Vorderen Westen gelegenen Buchladen ab.
Offene Gesellschaft ohne offene Diskussion?
Jérôme: Frau Maron, wie bewerten Sie es – als selbst Zensur-erfahrene Autorin – wenn sich in einer Stadt, die sich durch ihren von den erfolgreichen Bürgerprotesten in der DDR inspirierten Bürgerpreis »Das Glas der Vernunft« mit den Idealen der Aufklärung schmückt – mithin der Überwindung ideologischer Schranken sowie der Vernunft und Toleranz gegenüber Andersdenkenden –, ein Buchhändler, und das offenbar auch noch guten Gewissens, zum Zensor seiner Kundschaft glaubt aufschwingen zu dürfen?
Monika Maron: Ich nehme an, dass ein Buchhändler das Recht hat, Bücher, die ihm nicht gefallen, nicht zu verkaufen, und Kunden, die ihm nicht gefallen, an Amazon zu verweisen. Mich hätte dieser Buchhändler als Kunde jedenfalls verloren. Zu seinen Gunsten nehme ich an, dass er mein Buch nicht gelesen hat, ehe er es auf den Index setzte.
Jérôme: Bereits vor einem Jahr schrieben Sie sinngemäß in einem Beitrag für die »Neue Zürcher Zeitung«, dass es in den Medien eine Tendenz gebe, all jene willkürlich als „rechts“ zu etikettieren, die in ihrer politischen Haltung nicht unmittelbar der offiziellen Linie, dem Mainstream entsprechen. Wann hat dieser Trend Ihrer Wahrnehmung nach eingesetzt und inwieweit lassen sich hier bereits Parallelen zu einstigen Verhältnissen in der DDR ziehen?
Maron: Der Trend hat schon vor langer Zeit eingesetzt und hat sich nach meiner Meinung an der Auseinandersetzung mit dem Islam verschärft. Schon 2010 wurden die Kritiker des Islam, besonders Necla Kelek, in der Süddeutschen Zeitung und in der FAZ als Hassprediger und Heilige Krieger beschimpft. Seit der Flüchtlingskrise und der propagierten Willkommenskultur und dem damit verbundenen Aufstieg der AfD sind offenbar alle Dämme gebrochen. Abweichende Meinungen sind kein Argument mehr wert, sondern werden mit Verdächtigungen, Beschimpfungen bis zum inflationären Gebrauch des Begriffs Nazi beantwortet. Mit der DDR lässt sich das trotzdem nicht vergleichen. Ich kann Bücher veröffentlichen, ich könnte, wenn ich wollte, eine Partei gründen, ich kann öffentlich auftreten und meine Meinung verkünden. Allerdings braucht man dazu hin und wieder starke Nerven und gute Freunde, und das weckt manchmal Erinnerungen an die Verhältnisse in der DDR, in der man dann als feindlich-negatives Element gebrandmarkt war. Jetzt gilt man als rechts, was schnell bedeutet: fremdenfeindlich, rassistisch, Nazi eben. Islamkritik gilt als islamophob und islamfeindlich, obwohl der Islam Kritik dringend nötig hat, wenn er mit unserer Rechtsordnung und unserem Verständnis von Zusammenleben kompatibel sein will.
Jérôme: Was könnte aus Ihrer Sicht der zunehmenden Versteinerung in den Köpfen entgegenwirken und womit ließe sich die Gesellschaft wieder zurückführen zu mehr Diskursfreudigkeit und offener Diskussion, ganz im Sinne der Aufklärung?
Maron: Es braucht dringend mehr Vernunft und rationales Denken statt moralisierenden Hochmuts. Wer fordert, der ganzen Welt zu helfen, fühlt sich gut, auch wenn er selbst nichts dafür leistet. Er muss sich nicht einmal für die interessieren, die sein Hochgefühl am Ende bezahlen, die um günstige Wohnungen, Kindergartenplätze, gute Schulen kämpfen müssen, die Sesshaften, die durch Beruf und Familie an einen Ort gebunden sind. Nicht umsonst haben alle Parteien plötzlich das Wort Heimat wiederentdeckt. Vor allem müsste die gewaltbereite, radikale Linke mindestens so bekämpft werden wie die radikale Rechte. Wer das Haus eines Polizisten überfällt, einen AfD-Politiker triumphierend aus der Frankfurter Innenstadt vertreibt, als gehöre sie ihm, gebärdet sich kriminell und autoritär. Wenn im Bundestag auch vernünftige Anträge der AfD ignoriert werden, fördert das einerseits das anmaßende und autoritäre Verhalten der linken Szene und andererseits die Radikalisierung der rechten. Es muss wieder argumentiert und nicht niedergebrüllt werden und jede Seite müsste in Erwägung ziehen, dass der andere vielleicht recht hat oder wenigstens verstehen wollen, warum er die eigene Meinung für falsch hält. Man kann nicht die offene Gesellschaft fordern, aber die offene Diskussion verhindern.