Mit einer umfassenden, bereits lange vorbereiteten Neukonzeption seiner Dauerausstellung hat das Kasseler Naturkundemuseum die Akzente bei der Präsentation seiner oft Jahrhunderte alten Schätze nun deutlich verschoben. Im Zentrum stehen jetzt die vier wichtigsten Preziosen des Hauses: das Herbar Ratzenberger, die Föten-Mumien, der Goethe-Elefant und die Schildbachsche Holzbibliothek. Deren jeweilige Bedeutung gehe, so Museumsdirektor Dr. Kai Füldner, „weit über regionale Befindlichkeiten hinaus“ und stoße auch international auf starke Resonanz. Dem Team des Naturkundemuseums sei es dabei in besonderer Weise geglückt, das neue Erscheinungsbild der Ausstellung auf fesselnde Art und Weise sowohl für sein großes wie auch kleines Publikum zu inszenieren, so Kulturamtsleiterin Dorothée Rhiemeier bei der Eröffnung.
Florale Vergangenheit, weltweit einzigartig
Das 1555 vom Naumburger Stadtarzt Caspar Ratzenberger begonnene »Herbar Ratzenberger«, ein aus drei Büchern bestehendes Herbarium, das über einen Zeitraum von 37 Jahren angelegt wurde und von dem zuvor nur ein Band ausgestellt war, enthält – unter 700 Gesamtobjekten – die älteste gepresste Pflanze Deutschlands. Ratzenberger gab es schließlich nach Kassel, weil der Botanik dort unter Landgraf Wilhelm IV. und dessen Sohn Moritz besondere Wertschätzung entgegen gebracht wurde. Auf elektronischem Wege können sämtliche Seiten des Herbariums per Monitor betrachtet werden und eine flankierende Duftorgel sorgt für die zusätzliche Stimulation der Sinne. Diese werden auf ganz andere Weise ebenfalls herausgefordert beim Betrachten der auf ein Alter von mindestens 300 Jahren geschätzten – teilweise gerade wieder in die USA ausgeliehenen – Föten-Mumien, die seit ihrer Entdeckung in den Depots des Naturkundemuseums weltweit auf größtes wissenschaftliches Interesse stoßen. Bereits 1714 beschrieb der deutsche Arzt und Naturforscher Michael Berhard Valentini die Föten-Präparate in seinem Buch „Museum Museorum“, nachdem er sie zuvor selbst im Ottoneum in Augenschein genommen hatte, das damals nicht nur Kunsthaus, sondern innerhalb des dort ebenfalls untergebrachten Collegium Carolinum zugleich universitäre Ausbildungsstätte für Mediziner war.
Hessens Wälder in 547 Kästchen
Von Goethe persönlich untersucht, der an ihm Studien zum Zwischenkieferknochen betrieb, ist der sogenannte „Goethe-Elefant“, der von 1773 bis 1780 in der Menagerie von Landgraf Friedrich II. lebte, das älteste montierte Großsäugerskelett, das heute noch existiert. Sein Überdauern verdankt es dem Umstand, dass der Anatom, Anthropologe, Paläontologe und Erfinder Samuel Thomas von Soemmerring, damals als Professor im Ottoneum tätig, nach dem Unfall-Tod des Elefanten sofort die einmalige Chance ergriff, ein so großes Säugetier zu präparieren. Dieses steht nun vis-a-vis zur Schildbachschen Holzbibliothek, dessen Schöpfer Carl Schildbach, in seiner Funktion als Menagerie-Verwalter, auch den Goethe-Elefanten in seiner Obhut hatte. Um Holz und Pflanze als Ganzes zu präsentieren, schuf er zwischen 1771 und 1799 die erste bekannte Holzbibliothek, die mit 547 selbstgebauten Holzkästchen, unter Verwendung des jeweiligen Splint-, Kern- und Astholzes nebst aus Wachs und Seidenpapier nachgebildeten Früchten und einer entsprechenden Nachkolorierung der Blätter, eine ebenfalls weltweit einzigartige „Sammlung von Holzarten, so Hessenland von Natur hervorbringt“ darstellt.
Nukleus der Museumslandschaft
Diese vier Preziosen sind eingebettet in ein chronologisch gegliedertes Gesamtausstellungskonzept, zu dem neben der bewegten Gebäudegeschichte des Ottoneums, das als Theater begann, unter anderem die Alchemie-Experimente von Landgraf Moritz gehören, die Zeugnisse der Irrungen früher Sammelleidenschaft – als Narwalzähne noch für Einhörner gehalten und in Gold aufgewogen wurden – wie auch die Nachbildung eines großen Raritätenkabinetts, einer Kunst- und Wunderkammer, wie sie Landgraf Karl einst hier gepflegt hatte, einschließlich Mördermuschel, Stoßzahn und strohgestopftem Krokodil. Mit Hilfe eines Medientisches werden daneben die vielfältigen Vernetzungen des Naturkundemuseums mit anderen Sammlungen in Kassel und darüber hinaus nachvollziehbar gemacht, „denn das Ottoneum war oft deren Nukleus“, so Dr. Kai Füldner, für den sich der Einbezug seines Museums in die dOCUMENTA (13) als Glücksfall entpuppt hat: Ergänzt durch die eigenen, angeglichenen wie zugleich erweiternden Arbeiten des Künstlers Mark Dion, präsentiert sich die Schildbachsche Holzbibliothek nun, kunstvoll und mit Einlegearbeiten gefertigt aus einer abgeknickten Beuys-Eiche, in einer neuen, runden und begehbaren Vitrine, die es nicht nur erlaubt, mehr von Schildbachs Objekten zu präsentieren, sondern das Museum zugleich dauerhaft mit einem documenta-Kunstwerk verbindet.